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Probleme und Lösungen

Wortbedeutungen

Unser deutsches Wort "Problem" stammt vom griechischen "problema" ab, was etwa "das Vorgelegte" bedeutet. Interessanterweise beinhaltet das griechische Ursprungswort keine Wertung: "Problem" bezeichnet, was auch immer da einem vorgelegt wird, es kann etwas Positives oder etwas Negatives sein. Beratungstechnisch relevant ist die formale Struktur der Situation, die durch etwas Vorgelegtes impliziert wird: Dass etwas vorgelegt werden kann, setzt voraus, dass es jemanden gibt, der vorlegt (a), und dass es jemanden gibt, dem vorgelegt wird (b). In Beratungskontexten ergeben sich daraus Fragen wie:

Zu a: Wer legt das Problem vor?

Zu b: Wem wird das Problem vorgelegt?

Die Bedeutung des Worts "Lösung" ist allgemein bekannt: Lösen ist das Gegenteil von Binden. Eine Lösung ist daher eine Möglichkeit, sich von etwas Vorgelegtem (= Problem) zu trennen. Schon die Alchemisten des Mittelalters formulierten als allgemeinen Grundsatz das Prinzip "solve et coagula", was nichts anderes heisst als "lösen und binden". Alles, was sich bindet, muss sich zunächst vom Bestehenden lösen, damit es die neue Bindung eingehen kann; alles was sich löst, muss eine Bindung mit etwas anderem eingehen, damit die Lösung vollzogen werden kann. In Beratungskontexten ergeben sich daraus Fragen wie:

Wertung

Probleme haben eine schlechte Presse - und Lösungen scheinen immer anstrebenswert zu sein. Diese plakative, unreflektierte Haltung erweist sich in der Praxis immer wieder als unangebracht - man könnte sagen: als Problem.

Probleme drängen zu einer Veränderung, und gerade darin liegt ihr (positiver) Wert. Probleme bergen und generieren die nötige Spannung, um Dinge in Bewegung zu versetzen. Häufig sehen sich Menschen erst dann zum Handeln veranlasst, wenn ein drängendes Problem vorliegt. In diesem Sinne sind Probleme ein Motor unserer Gesellschaft: Unternehmen entstehen dadurch, dass sie für irgendjemanden ein spezifisches Problem lösen (die benötigten Schrauben liefern etc.), Umweltorganisationen, Tierschutzverbände und so weiter werden gegründet, um bestehende Missstände zu beheben.

Diese allgemeine Problemorientierung hat allerdings auch ihre Schattenseiten. Denken wir über politische Prozesse nach, so beschäftigen wir uns vor allem mit zu behebenden Missständen, und es bleibt kaum Platz für neuartige Ideen und Visionen. Auch was unseren Gesundheitszustand betrifft kümmern wir uns viel mehr darum, Krankheiten wegzubringen als Gesundheit zu erzeugen. Wir sind dermassen stark in einer problemorientierten Sichtweise verfangen, dass es häufig schwierig ist - und einiger Anstrengung bedarf - einen lösungsorientierten Standpunkt einzunehmen, und nur in wenigen Fällen ist jemand bereit, Ressourcen einzusetzen ohne dass ein Leidensdruck die Motivation dazu liefert.

Auch die allseits positive Wertung von Lösungen ist zu relativieren. Nicht nur kann eine Lösung andere mögliche (bessere) Lösungen verhindern - Lösungen können auch selber zu Problemen werden. Hierzu exemplarisch drei Beispiele:

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Probleme können nützlich sein, Probleme können behindernd sein; Lösungen können nützlich sein, Lösungen können behindernd sein.

Arten von Problemen

Um einen Weg durch das Probleme-Labyrinth zu finden, empfiehlt sich eine Einteilung in verschiedene Arten. Ich verwende dabei den Begriff "Problem" doppelt: Einmal als Oberbegriff für alle möglichen Arten von Problemen (so verwenden wir den Begriff auch im Alltag), und einmal als spezifische Bezeichnung für eine bestimmte Situation.

Ganz allgemein lassen sich unerwünschte Situationen in vier Arten einteilen: Erschwernis, Schwierigkeit, Problem, Restriktion.

In der Praxis kommen auch weitere Einteilungen zum Tragen: Konflikt, Dilemma, Plussymptomatik vs. Minussymptomatik und so weiter. Über einen Mangel an Problemen kann man sich nicht beklagen ...

Arten von Lösungen

Grundsätzlich lassen sich Lösungsversuche und Lösungen in zwei Typen einteilen: Lösungen erster Ordnung (I-Lösung) und Lösungen zweiter Ordnung (II-Lösung). Diese Unterscheidung wurde bekannt durch den Psychotherapeuten Paul Watzlawick, existierte aber in sozial-psychologischen Kontexten schon vorher.

I-Lösungen sind direkte Reaktionen auf bestimmte Situationen, meistens im Sinne einer Gegenregulation: Ist es mir zu dunkel, schalte ich eine Lampe ein. Das Vorgehen ist also so, dass ich auf eine Minus-Situation (zu wenig Licht) mit einer Plus-Reaktion (Licht machen) antworte. Auch der umgekehrte Fall ist uns aus dem Alltag bestens bekannt: Auf eine Plus-Situation (zu viel von etwas) wird mit einer Minus-Reaktion geantwortet (vermindern eines Werts / einer Variable); Beispiel: ich habe zuviel Arbeit und delegiere deshalb einen Teil davon. I-Lösungen können sinnvoll und zielführend sein - sie können aber auch unvorteilhaft sein, wenn sie auf Probleme angewendet werden, die ein anderes Vorgehen verlangen. Ein Beispiel für eine ungeeignete I-Lösung ist das Aufmuntern des Trübsinnigen (siehe oben). Ebenfalls ungeeignet sind I-Lösungen für Probleme, die zu komplex sind, um durch ein simples Plus oder Minus dargestellt zu werden - kann ein Unternehmen nicht so grosse Stückzahlen produzieren, wie verkauft werden könnten, so kann dies nicht so einfach geändert werden wie das Anknipsen einer Lampe.

II-Lösungen agieren nicht auf der Ebene der Situation, die gelöst werden soll, sondern nehmen einen übergeordneten Standpunkt ein. Der Schweizer Tüftler Isaac de Rivaz hätte daran arbeiten können, die Leistungsfähigkeit von Pferdekutschen zu verbessern (I-Lösung) - stattdessen hat er auf einen Handkarren einen Verbrennungsmotor montiert und damit quasi das erste Automobil gebaut (II-Lösung).

II-Lösungen haben spezifische Eigenschaften, die sie von I-Lösungen unterscheiden:

Für den Beratungsprofi sind II-Lösungen zwar auch überraschend, aber nicht so mysteriös wie sie dem Laien erscheinen mögen - es gibt Techniken, wie eine passende II-Lösung konstruiert werden kann.

II-Lösungen können vom Probleminhaber einiges an Geduld verlangen - genauso, wie es seine Zeit dauert bis ein motorisierter Handkarren zum serienreifen Auto wird, dauert es meistens seine Zeit, bis eine II-Lösung überhaupt als Lösung erkennbar ist. Ein häufiger Effekt bei II-Lösungen ist der, dass mittel- und langfristig das Problem vergessen geht ("Wir einen Produktions-Engpass?? Ah ja, damals vor zwei Jahren ..."). Das ist durchaus nachvollziehbar, da II-Lösungen gleichsam vom Problem abgekoppelt zu sein scheinen, was dazu führt, dass die erreichte Lösungssituation gar nicht mehr mit der ursprünglichen Problemsituation in Verbindung gebracht wird.